Strafrecht- Strafmilderung durch die Rechtsfolgenlösung beim Heimtückemord

Der BGH hat mit seinem Urteil vom 19.08.2020 den Ausnahmecharakter der Strafrahmenverschiebung durch die sog. „Rechtsfolgenlösung“ betont. Die Anforderungen an die notwendigen außergewöhnlichen mildernden Umstände, die Voraussetzung für eine entsprechende Anwendung von § 49 I StGB sind, seien sehr hoch.

Dem lag nach den Feststellungen des Landgerichts Hamburg im Urteil vom 14.02.2020 folgender Sachverhalt zugrunde:

Am 27.06.2019 tötete der Angeklagte einen anderen Menschen, der unbewaffnet war und der von dem Angriff auf sein Leben überrascht wurde, mittels eines Schusses. Dies wurde damit begründet, dass der Angeklagte dem Getöteten ein Drogengeschäft vermittelt hatte. Nachdem dieses nicht seinen Wünschen entsprechend verlief, forderte er vom Angeklagten die Erstattung des investierten Geldes. Der Angeklagte wiederum sah sich nicht in der Verpflichtung, dem später Getöteten diese Summe zu zahlen. Hieraufhin kam es zu diversen Bedrohungen des Angeklagten. Als es zu einem neuerlichen Treffen zwischen den beiden kam, um den Sachverhalt zu besprechen, kam der später Getötete in Begleitung zweier weiterer Personen. Da auf dem öffentlichen und belebten Platz, an dem sie sich trafen, aus ihrer Sicht keine Gefahr für eine gewalttätige Auseinandersetzung bestand, waren alle drei unbewaffnet. Im weiteren Verlauf des Treffens entwickelte sich ein Streitgespräch. Nachdem sich der Angeklagte weiter weigerte, die geforderte Geldsumme zu zahlen, teilte ihm der später Getötete mit, er werde sehen, was er davon habe. Sodann zog der Angeklagte – eingeschüchtert durch die zahlenmäßig überlegene Gruppe – die mitgeführte Waffe und schoss zweimal gezielt, um das Opfer zu töten. Dem Angeklagten war klar, dass dieser Angriff das Opfer und dessen Begleiter unvermittelt traf. Es kam ihm gerade darauf an, die Gegenwehr der Gruppe durch den Schusswaffeneinsatz auszuschließen. Bei der Tatbegehung war die Schuldfähigkeit der Angeklagten weder aufgehoben noch erheblich eingeschränkt.

Das Landgericht wertete die Tat als heimtückisch begangenen Mord. In Hinblick auf das Strafmaß hat das Landgericht den Strafrahmen des § 211 I StGB entsprechend § 49 I Nr. 1 StGB gemildert, da es angenommen hat, dass außergewöhnliche Umstände vorlägen, die eine Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig erscheinen ließen.

Sowohl Staatsanwaltschaft als auch Angeklagter legten hiergegen die Revision ein. Die Revision des Angeklagten wurde verworfen. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hin wurde das Verfahren an das Landgericht zurückverwiesen unter Aufhebung des Strafausspruchs.

Der BGH begründete dies damit, dass bei einer heimtückischen Tötung, sprich einer Tötung unter Ausnutzung der auf Arglosigkeit beruhenden Wehrlosigkeit, stets ein Schuldspruch wegen Mordes zu erfolgen hat. Nur bei außergewöhnlich mildernden Umständen darf eine Strafrahmenverschiebung in Betracht gezogen werden. Solche Umstände liegen vor, wenn die heimtückische Tatbegehung mit Entlastungsmomenten zusammentrifft, die zwar nicht aufgrund gesetzlicher Regelung zu einer Strafmilderung führen, aber es als unverhältnismäßig erscheinen lassen, eine lebenslange Freiheitsstrafe zu verhängen.

Im vorliegenden Fall habe das Gericht zwar außergewöhnliche Umstände benannt, nämlich  die Bedrohungen, aber bei der Würdigung dieser Umstände eine falsche Gewichtung vorgenommen und teilweise wichtige Umstände außer Acht gelassen. Außerdem habe das Landgericht verkannt, dass erhebliche Gesichtspunkte gegen den Angeklagten sprachen, insbesondere seine einschlägige Vorbestrafung, sowie der Umstand, dass die Tat sich in der Innenstadt auf einem belebten Platz abgespielt hat und dies geeignet sei, das Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit gravierend zu stören.

Die Rechtsfolgenlösung findet also vor allem dann Anwendung, wenn von einem sog. Haustyrannenfall die Rede ist, wenn also ein Ehepartner den anderen heimtückisch tötet, da der Täter keinen anderen Ausweg aus einer nach seiner Sicht ausweglosen, notstandsnahen Situation erkennt. Damit die Rechtsfolgenlösung (Strafrahmenanpassung nach § 49 I StGB) angewendet werden kann, hat in der Regel der Tötung eine derart langwierige und schwere körperliche Misshandlungen sowie Demütigungen des späteren Täters voranzugehen, dass die Verhängung einer lebenslangen Strafe als schlichtweg unangemessen erachtet wird.

Nicht in Betracht kam die Anwendung der Rechtsfolgenlösung beispielsweise beim „Fall des Kannibalen von Rotenburg“, in dessen Fall Verfassungsbeschwerde eingelegt wurde, da selbst die Einwilligung seines späteren Opfers nicht als Strafmilderungsgrund durch das Gericht berücksichtigt wurde, vgl. hierzu BVerfG Beschluss vom 07.10.2008 – 2 BvR 578/07. Auch im Fall des „Mitleidsmordes“ (Mitnahmesuizid oder Mitleidstötung, um dem Opfer vermeintliches Leid zu ersparen, wie z.B. finanzieller Ruin der Familie) ist die Rechtsfolgenlösung nicht anzuwenden, wenn der Täter annimmt, er würde im besten Interesse seines Opfers handeln, das Opfer aber bewusst nicht danach befragt, obwohl es in der Lage war, eine autonome Willensentscheidung zu treffen und hätte entsprechende Auskunft geben können, vgl. hierzu BGH Urteil vom 19.06.2019 – 5 StR 128/19.

Zusammengefasst ist festzustellen, dass die vom BGH entwickelte Rechtsfolgenlösung lediglich auf wenige Situationen mit ganz außergewöhnlichen Umständen anwendbar ist.

 

Rechtsanwalt Daniel Krug

Mit Unterstützung durch Rechtsreferendarin Nadine Schwechheimer

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